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Hier nun mein Vortrag an der Langen Nacht der Wissenschaft, 10. Mai 2014 im MDC Berlin-Buch. Da es ein Vortragsskript ist, ist es sprachlich nicht über alle Zweifel erhaben… Links usw. kann ich hinzufügen wenn gewünscht.

In diesem Vortrag geht es um das menschliche Erbgut oder Erbinformation. Und darum, wie man an die Information rankommt, und was es bedeutet, wenn man diese kennt, und wie man mit dieser riesigen und gleichzeitig sehr persönlichen Datenmenge umgehen soll, und welche ethischen und rechtlichen Fragen gestellt werden müssen. Die Entwicklung bei der Erbgutinformation ist durchaus mit dem Internet vergleichbar: eine schnelle technologische Entwicklung erlaubt, immer mehr persönliche Daten zu sammeln. Heute kann man innert weniger Tagen für 1000 Euro ein komplettes menschliches Erbgut bestimmen, was vor 15 Jahren reinstes science fiction war.

Zuerst werde ich sehr kurz einige Dinge dazu sagen, was genetische Information bedeutet, und was Unterschiede zwischen Menschen auf Gen-Ebene sind. Dann etwas zur technischen Entwicklung und Möglichkeiten der Erbgutbestimmung. Und zum Schluss aktuelle ethische und rechtliche Fragen und Entwicklungen.

Wie gesagt, es geht um das menschliche Erbgut, auch Genom genannt, alle unsere Gene. Wir haben unser Erbgut in allen unseren Zellen drin, in 23 relativ großen Molelkülen. Diese umfassen insgesamt ungefähr 3 Milliarden „Buchstaben“, chemisch gesagt „Basen“ oder „Nukleinsäuren“. Es gibt nur vier verschiedene davon, ACGT. 3 Milliarden entspricht ungefähr 670 Tausend dicht bedruckten A4-Seiten, oder einer ordentlichen Bibliothek. Das Genom ist ganz dicht zusammengeknäuelt, ausgestreckt sind es ungefähr 1 Meter, aber unendlich dünn.

Nun, also zum Genom. Es hat darauf beim Menschen ungefähr 20000 Gene. Aus Genen werden Proteine, die die eigentlich Arbeit im Körper erledigen. Nahrung verdauen, Atmen, Signale im Hirn weitergeben usw – das machen Proteine. Gene sind der Bauplan für Proteine. Bei dem umstrittenen „Genfood“ bspw geht es oft um einzelne Gene, die hinzugefügt werden. Beispiel Bt-Mais von Monsanto: Dieser Mais hat ein Gen, das für ein Protein codiert, das giftig ist für schädliche Insekten, wie bspw. den Maiszünsler, der ganze Maisfelder vernichten kann.

Neben den 20000 Genen, die einen sehr kleinen Teil des Genoms ausmachen, hat es sehr viel Sequenzen, die die Gene regulieren und andere Dinge tun – die Funktion des größten Teil des Genoms ist nach wie vor unbekannt.

Einzelne Menschen können sich in ganz kleinen Differenzen unterscheiden (abgesehen von Mann/Frau, wo ein ganzes Chromosom unterschiedlich ist). Es sind ungefähr eine Million dieser kleinen Unterschiede bekannt; das können einzelne Buchstabendifferenzen sein (bpsw. ein A statt ein G), oder kurze oder längere Abschnitte die fehlen oder zusätzlich da sind. Viele dieser Differenzen haben wohl keinen Effekt, von zahlreichen ist aber schon bekannt was sie bewirken. Man nennt diese Unterschiede auch SNP (small nuclear polymorphism).

Bekannt geworden ist das Gen BRCA1, das macht ein Protein das für die Stabilität des Genoms zuständig ist. Einige SNPs in diesem Gen können das Risiko für Brustkrebs drastisch erhöhen. Immer mehr Frauen lassen sich nun auf diese SNPs testen und eventuell präventiv die Brust entfernen – bekanntes Beispiel ist Angelina Jolie.

So einfach ist der Zusammenhang zwischen genetischer Information und Krankheit aber meistens nicht. Die erstmalige Bestimmung des menschlichen Genoms hat diesbezüglich riesige Hoffnungen geweckt, die zumeist nicht erfüllt werden konnten. Im Gegenteil, je näher man hinschaut, desto weniger sieht man: Nach der erstmaligen Entschlüsselung des menschlichen Genoms haben sich immer mehr und immer komplexere Mechanismen gezeigt, welche tatsächlichen Folgen die Veränderungen im Genom tatsächlich haben. Direkte Folgerungen wie im Beispiel oben mit dem einfachen Zusammenhang BRCA1-Veränderung -> stark erhöhtes Brustkrebsrisiko sind eher die Ausnahme.

Auch ist klar, dass äußerliche Einflüsse – Kultur, Erziehung, Ernährung, Umwelt – den einzelnen Menschen viel stärker prägen als nur seine Gene. Siehe Geschwister, die sich ja genetisch sehr ähnlich sind, aber ganz unterschliedliche Menschen sein können.

Aber zurück zur Bestimmung des Erbgutes. Beim ersten Mal, vor wie gesagt gut zehn Jahren, hat man dafür noch Jahre und Dutzende von Millionen von Euro gebraucht. Dank des technischen Fortschrittes kostet die komplette Bestimmung des Erbgutes eines Menschen heute noch ungefähr 1000 Euro. Auch wir können das innert einiger Tagen machen – von etwas Blut oder einer kleinen Gewebeprobe ausgehend, es braucht also keinen großen Eingriff. Das kontrastiert mit dem enormen Informationsgewinn aus der Methode.

Das bedeutet, dass die Totalsequenzierung des menschlichen Genoms in der Medizin und darüberhinaus alltäglich werden kann. Trotz der Vorbehalte, die vorher gegenüber des tatsächlichen Informationsgehaltes des Genoms geäußert habe, wir reden hier über die Bestimmung einer entscheidenden biologischen Voraussetzung der individuellen Identität des Menschen. Und entsprechend stellen sich wichtige ethische und rechtliche Fragen – nicht alle grundsätzlich neu, aber von ganz neuer Reichweite und Menge. Beispielsweise ergibt „Blutfett“ messen ein Wert – während das Erbgut unendlich viel aussagekräftiger ist bzw. sein kann:

  • Die Kenntnis des Erbgutes kann sehr aussagekräftig sein: Da Risiken für diese und jene Krankheiten bekannt. Das beeinflusst das Verhalten (siehe Brustkrebs/Brustamputation), aber könnte zB Versicherungen brennend interessieren -> Datenschutz.
  • „Genetische Verantwortung“ -> gegenüber Nachkommen und nahen Verwandten, da diese ähnliche Eigenschaften haben könnten. Siehe auch Pränataldiagnostik.
  • Analyse erfolgt mehr und mehr in vernetzten, arbeitsteiligen Verbünden. Viel mehr Leute sind involviert, und nicht nur Ärzte, die zB an das Arztgeheimnis und Verhaltensrichtlinien gebunden sind, sondern auch nicht-ärztliche Wissenschaftler (wie zB ich). Es braucht also eine Ausdehnung der Pflichten und des Schutzes des Personals.
  • Klassischer Umgang mit Patienten: Aufklärung, Einwilligung, Beratung – funktioniert nicht mehr. Die Struktur der biologischen Forschung (globaler Datenaustausch), ein hohes Maß an vagem Wissen (Forschung ist im Fluss), die Beschaffenheit genetischer Informationen (Wahrscheinlichkeitswissen) und die Menge an möglichen Zusatzbefunden (Überschussinformation) unterhöhlen den Anspruch auf eine informierte Entscheidung.
  • Totalsequenzierung stellt keinen punktuellen, sondern einen andauernden Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Die Möglichkeit der sukzessiven Informationsbeschaffung macht es schwer, Umfang und Reichweite des Eingriffs abschließend einschätzen zu können.
  • Darf oder muss man dem Patienten alles mitteilen? Besonders sensibel bei Kindern und Jugendlichen (Veränderungen im Erbgut die erst viel später und nur eventuell sichtbar werden)
  • Datenschutz, Datensicherheit sind auch hier von zentraler Wichtigkeit
  • Gendiagnostikgesetz von 2009 ein Anfang, aber nicht mehr
  • Firmen wie 23andme, deCODEme, Illumina usw. bestimmen SNPs oder das ganze Erbgut. Sobald private Firmen hineinkommen, gibt es zusätzliche Probleme – siehe bspw. die umstrittene Patentierung auf BRCA1 durch die Firma Myriad, wodurch sehr teure Gentests für Brustkrebs möglich werden.

Es gibt also einige Vorbehalte, aber wie das Internet und andere großartige Erfindungen birgt auch die Erbgutbestimmung ein riesiges positives Potenzial, nicht nur für wissenschaftliche Grundlagenforschung und die Entwicklung von Therapie und Diagnostik! So haben vier StudentInnen von verschiedenen Unis aus Deutschland openSNP.org programmiert, wo Leute ihre SNP-Daten und Genome eingeben können und sich darüber austauschen können, aber auch ihre Daten der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Die Souveränität über die eigenen Daten geht auf das Individuum über – das ist aufwändig, aber grundsätzlich begrüßenswert.

 

Einige weiterführende Links

 

 

 

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