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Gestern ist in der „Welt“ ein Artikel über Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erschienen, die auf social media aktiv sind – da ist von „weißhaarige Männern mit Brille, Bart und einem älteren Handy“ einerseits, und von 27jährigen Biologinnen mit buntem Kleid andererseits die Rede. Letztere, zack, versehen Doktorandinnen und Doktoranden mit Twitter-Accounts, erstere grummeln in der letzten Reihe vor sich hin. Schon in den ersten Zeilen also alle Klischees auf den Tisch gelegt – weiter geht es dann mit dem Nutzen von social-media-Kenntnissen für die wissenschaftliche Karriere, von allerlei Blogs, lustigen Hashtags, und wie Twitter-Diskussionen über Bakterien zu gemeinsamen Studien führen. Hervorragend, da kann ich mich als Wissenschaftler mit Twitter-Account und einiges an social-media-Erfahrung ja geschmeichelt fühlen und in eine wonnige Zukunft blicken.

So ist es natürlich nicht – im Gegenteil, die zunehmende Anzahl Artikel zu Forschung&social media ist für mich vor allem ein unkritischer Hype. Erstens, effiziente Wissenschaftskommunikation, die viele Menschen auf sinnvolle Art und Weise erreicht, findet nach wie vor im realen Leben statt (und Kontakte mit anderen ForscherInnen in Seminaren und auf Konferenzen). Die Lange Nacht der Wissenschaft in Berlin hat beispielsweise mehrere zehntausend Menschen angezogen. Auch wenn beispielsweise auf Twitter unter #LNDW einiges los war, mehr als einige Dutzend Menschen haben das wohl nicht gemerkt. Auf dem Campus Buch (wo „mein“ MDC steht) waren einige Tausend Menschen, und nur eine gute Handvoll davon auch auf Twitter. Dass Twitter eine schöne Filterblase ist, in der sich wunderbar mit seinesgleichen und JournalistInnen diskutieren lässt, ist ja nichts neues. Und so zu tun als ob Twitter oder andere, auch wissenschaftsspezifische soziale Netzwerke, ein großer Schritt für die Vernetzung der Forschung seien, ist jenseits von gut und böse. E-Mail ist seit den frühen 1980ern Standardkommunikationsmittel für WissenschaftlerInnen aus aller Welt. Und, obwohl ich auch auf Twitter schon Bioinformatik-Hilfe erhalten habe und auch auf ResearchGate Fragen beantwortet werden, wichtigste Ressource sind immer noch bspw. old style 90er-Jahre-Foren wie seqanswers.com

Zweitens haben wissenschaftliche Blogs und online-Aktivitäten meines Erachtens manchmal etwas viel PR-Charakter. Das ist auch nicht verwunderlich – die eigene Internetpräsenz als Eigenwerbung für die Karriere, der Druck gut zu publizieren und Grants einzuwerben; große Wissenschaftsorganisationen und Institute die unter permanentem Zwang stehen, öffentliche und private Gelder einzuwerben und dafür „gute PR“ und ein günstiges Bild in der Öffentlichkeit brauchen: In einem solchen Umfeld hat die für gute Wissenschaft essentielle Selbstkritik und Reflexion wenig Platz.

Damit man mich nicht missversteht: Wissenschaft muss den Menschen besser nahebringen, was sie den ganzen Tag so tut. Es ist daher völlig richtig, dass beispielsweise in EU-Grants mehr „outreach“-Aktivitäten gefordert werden. Auch Grundlagenforschung hat großen Einfluss auf die Gesellschaft, und kostet nicht zuletzt eine Menge (öffentliches) Geld, das man auch anderswo verwenden könnte. Gerade deswegen muss Wissenschaftskommunikation aber immer  wissenschaftlichen Grundsätzen treu bleiben: Kritisch hinterfragen, ob die eigene Forschung in die Richtung geht. Hohe Standards, wie ein Experiment durchgeführt und wie darüber berichtet wird. Diskussionen und Widerspruch nicht aus dem Weg gehen, sondern im Gegenteil zum Bestandteil der eigenen Publikationstätigkeit machen. Ein gutes Beispiel übrigens ist für mich die lebhaft und kontrovers geführte Debatte über open access (siehe z.B. der Beitrag von Erin McKiernan).

Und vor allem: Wenn man mit den Menschen über Wissenschaft sprechen will, muss man dahin gehen wo Menschen sind. Online ist einzig Facebook sinnvoll, weil es mit Abstand das bestgenutzte soziale Netzwerk ist (auch wenn die meisten Facebook-Seiten von Forschungsinstitutionen kaum Publikum anziehen). Und sonst muss der Fokus auf vielleicht nicht so hippe, aber dafür umso effizientere Vor-Ort-Aktivitäten wie eben lange Nächte der Wissenschaft oder traditionelle Medienarbeit liegen. Denn nur so kann man einem wirklich maßgebenden Teil der Bevölkerung Wissenschaft näher bringen, statt einen neuen Elfenbeinturm zu eröffnen.

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